Jahrelang ist der Arbeitsschutz im Bereich der Berliner Polizeibehörde vernachlässigt worden. Auch die zuständige Aufsichtsbehörde hat versagt. Das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsheitsschutz und technische Sicherheit als staatliche Aufsichtsbehörde nach dem Arbeitsschutzgesetz durfte nicht tätig werden. Die Leidtragenden waren über zwei Jahrzehnte die Nutzerinnen und Nutzer der Schießstände. Der Senat von Berlin schuf einen Ausgleichsfonds, um die Opfer entschädigen zu können. Der Ausgleichsfonds soll für zusätzliche Entschädigungszahlungen weiterentwickelt werden. Die Prüfung eines Vorschlages erfolgt seit Mai 2020. Aus einer Antwort vom 4. August auf eine parlamentarische Anfrage ist zu entnehmen, dass 441 Dienstunfallanzeigen im Zusammenhang mit der Schießstand-Thematik auf Anerkennung eines Dienstunfalls sich immer noch in der „Prüfung“ befinden. Der Staatsanwaltschaft Berlin liegen seit langer Zeit diverse Strafanzeigen gegen – ehemalige – Führungskräfte der Berliner Polizei vor.

Der Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung des Berliner Abgeordnetenhauses befasst sich in seiner Sitzung am 17. August 2020 mit einem Gesetzentwurf der Fraktion der CDU zur Ergänzung der § 31 – Dienstunfall – des Landesbeamtenversorgungsgesetzes (LBeamtVG). Es soll errreicht werden, dass bei Verletzung von Vorschriften, die zum Schutz vor Gefahren für die körperliche Unversehrtheit an dem Ort seines regelmäßigen dienstlichen Aufenthalts erlassen wurden, die Erkrankung immer als Dienstunfall anzusehen ist.

Von der Betriebsgruppe Justiz / Justizvollzug der GVV wird ergänzend vorgeschlagen:

  1. Grundsätzlich ist die Unfallfürsorge für Beamtinnen und Beamte nach dem LBeamtVG zu verbessern.
  2. Das LBeamtVG befindet sich leider immer noch in der Fassung zum Zeitpunkt der Übernahme des Rechts des Bundes nach der Föderalismusreform 2006 in das Landesrecht durch das Zweite Dienstrechtsänderungsgesetz – 2. DRÄndfG vom 21. Juni 2011. Eine konsolidierte Fassung des Gesetzes hat der Senat dem Abgeordnetenhaus bisher nicht zur Beschlussfassung vorgelegt.
  3. Der Senat hat ferner keine Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des LBeamtVG erlassen, da die vorstehend erwähnte Neufassung des Gesetzes nicht vorliegt. Dagegen liegt für den Bundesbereich eine aktuelle Fassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Beamtenversorgungsgesetz vom 2. Mai 2018 vor, die ihre Vorgängervorschrift vom 3. November 1980 ablöst, die allerdings in der Berliner Verwaltungspraxix weiter Anwendung findet.
  4. Es wird die allgemeine Auffassung geteilt, dass in den vergangenen zwei Jahrzehnten beim Betreiben der Schießstätten im Bereich der Berliner Polizei vom Dienstherrn schwerwiegende Verletzungen der Fürsorge- und Schutzpflicht nach § 45 des Beamtenstatusgesetzes – BeamtStG- in Verbindung mit § 74 des Landesbeamtengesetzes – LBG – begangen worden sind.
  5. Die verfassungsrechtlich durch Art. 33 Abs. 4 Grundgesetz garantierte Fürsorge- und Schutzpflicht ist deshalb unbedingt wieder sicherzustellen.
  6. Um dieser Forderung Rechnung zu tragen, wird in § 74 – Fürsorge und Schutz – des Landesbeamtengesetzes (LBG)dem vierten Absatz der Halbsatz angefügt: „,ohne dass die Grundpflichten des Dienstherrn nach § 3 sowie die Überwachungsrechte der Arbeitsschutzbehörden nach § 21 und 22 des Arbeitsschutzgesetzes eingeschränkt werden.“ Mit dieser Ergänzung werden die materiellrechtlichen Grundpflichten des Dienstherrn für die Landesbeamtinnen und Landesbeamten und die Rechte der Arbeitsschutzbehörden in Berlin gesetzlich festgeschrieben. Dies ist notwendig, weil der Dienstherr zum Beispiel im Bereich der Berliner Polizei seine Pflichten vernachlässigt hat und die Arbeitsschutzbehörden wegen der Arbeitsschutzanwendungsverordnung in besonderen Teilen der Berliner Verwaltung nicht tätig geworden sind.  Die Voraussetzungen für ein Abweichen von Vorschriften des Arbeitsschutzgesetzes nach §§ 1, 3 und 4 der Verordnung über die modifizierte Anwendung von Vorschriften des Arbeitsschutzgesetzes für bestimmte Tätigkeiten im öffentlichen Dienst des Landes Berlin (Arbeitsschutzanwendungsverordnung – Berlin – ArbSchGAnwV-Bln) vom 10. August 2006 wären damit hinsichtlich der materiell-rechtlichen Grundpflichten des Dienstherrn nicht mehr möglich. Die Verantwortung des Dienstherrn bliebe vollständig bestehen. Die Arbeitsschutzbehörden könnten endlich ihre Tätigkeiten aufnehmen.
  7. § 79 – Forderungsübergang – LBG – wird als neuer Absatz 2  angefügt: „Der Dienstherr ist verpflichtet, bei eigener Außerachtlassung der Fürsorge- und Schutzpflicht gegenüber den Beamtinnen und Beamten im Rahmen der Unfallfürsorge angemessen zu entschädigen.“ Hiermit soll klargestellt werden, dass der Dienstherr für sein Verhalten in den vergangenen zwei Jahrzehnten auch künftig haftbar ist und einzutreten hat.
  8. Für einen neuen Absatz 3a im § 31 LBeamtVG wird folgende Fassung vorgeschlagen: “ Erkrankt ein Beamter, der Bedenken (§ 36 Landesbeamtengesetz) wegen einer vorsätzlichen Handlung des Dienstherrn, die Leben oder Gesundheit gefährdet geltend gemacht hat (§ 26 Nr. 2 Arbeitsschutzgesetz), gilt dies ebenfalls als Dienstunfall.“ Mit dieser Formulierung wird beamtenrechtlich den Mitwirkungspflichten nach § 15 Arbeitsschutzgesetz und dem Kernanliegen der unmittelbar betroffenen Beamtinnen und Beamten Rechnung getragen, die maßgebliche Strafvorschrift erwähnt und auf die nach §§ 18 Absatz 1 und 19 des Arbeitsschutzgesetzes beachtenswerten Rechtsverordnungen nach § 26 Nr. 2 des Gesetzes verwiesen. Die Gefahrstoffverordnung – GefStoffV – sieht zum Beispiel durch die Verweisung auf das Chemikaliengesetz entsprechende Regelungen vor. Aus Sicht der Betriebsgruppe sind die Schießstandsrichtlinien mit der Beschreibung der Betreiberpflichten im Arbeitsschutz und dem ausdrücklichen Bezug auf das Arbeitsschutzgesetz ebenfalls erfasst. Weitere Detailregelungen können in den Verwaltungsvorschriften zum Landesbeamtenversorgungsgesetz getroffen werden (z.B. Anerkennung des Schießtrainings in der Aus- und Fortbildung als Dienst im Sinne von § 31 LBeamtVG, Ort der Dienstleistung, spätere gesundheitliche Folgeschäden).
  9. Die seit länger Zeit im Zusammenhang mit dem Betreiben der Schießstände vorliegenden schriftlichen Unfallanzeigen sind offensichtlich nicht bearbeitet worden. Daher wird vorgeschlagen, dem Absatz 3 von § 45 LBeamtVG folgenden Satz anzufügen: „Unterbleibt eine Entscheidung innerhalb von drei Monaten nach Kenntnis des Schadensereignisses durch den Dienstvorgesetzten, liegt ein Dienstunfall vor.“