Auf die von der Berliner Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt „Fair mieten – Fair wohnen“ www.fairmieten-fairwohnen.de bereits 2019 erstellte Broschüre „Wohnen nach dem Strafvollzug“ ist jetzt erst von der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung mit Pressemitteilung vom 22. September 2020 aufmerksam gemacht worden. Die mit der Broschüre veröffentlichten Beiträge von Mitarbeiterinnen in den Sozialen Diensten der Berliner Justiz, der freien Straffälligenhilfe und der Sozialämter der Bezirke stellen eine einzigartige Anklageschrift gegenüber dem amtierenden Justizsenator Dr. Dirk Behrendt und dem gesamten Senat von Berlin dar.

Die Anklagen berufen sich auf die Schätzungen der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, dass jährlich aus den Berliner Justizvollzugsanstalten etwa ein Drittel aller Haftentlassenen ohne eigenen Wohnraum entlassen werden. Die Fachstelle gegen Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt geht von über 1.400 Personen aus, die aus der Haft entlassen werden, ohne dass sie über eine eigene Wohnung, eine vorübergehende Unterkunft bei Bekannten, in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe oder Übergangswohnheimen verfügen.

Die Leiterin der Sozialen Dienste der Justiz – Gerichts- und Bewährungshilfe – von der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz, Antidiskriminierung hat in dem Beitrag „Die Bedeutung des Wohnens nach der Haft aus der Sicht der Bewährungshilfe“ die aktive Mitwirkung der Zivilgesellschaft und der Politik an der Verbesserung der Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Resozialisierungsprozess eingefordert. Dies verbindet sie mit einer dringend erforderlichen Abkehr vom bisherigen Zuständigkeitsdenken rund um die Resozialisierung und beklagt das praktizierte Nacheinander in den Zuständigkeiten von Justiz, Soziales, Arbeit, Gesundheit. Zudem verhindern fiskalische Aspekte ein verzahntes kompetenz- und lösungsorientiertes Agieren. Gefordert wird eine Verwaltungsvereinbarung, um das Ziel, die Gemeinschaftsaufgabe der Resozialisierung mit einem Bekenntnis der Parteien und Ressorts abgestimmt verwirklichen zu können. Die Inhalte für die vorgeschlagene Verwaltungsvereinbarung sind in einem Sechspunktekatalog zusammengefasst (geschlechtergerechte Sozial- und Wohnungspolitik, Zugang zu Sozialleistungen zum Tage der Haftentlassung bereits während der Haft, Betreuung der Haftentlassenen durch die Bezirke, Schaffung spezieller Wohnraumangebote, Maßnahmen zum Wohnungserhalt bei Inhaftierungen bis zu einem Jahr, Stärkung der Präventionsarbeit).

Die grundsätzlichen Vorhaltungen in Richtung des Senats von Berlin werden in der vorliegenden Broschüre „Wohnen nach dem Strafvollzug“ von Mitarbeiterinnen im Frauenprojekt der Sozialen Dienste der Justiz, der Freie Hilfe Berlin e.V. als ein Träger der freien Straffälligen- und Wohnungslosenhilfe, des Sozialamtes des Bezirks Tempelhof-Schöneberg sowie mit Empfehlungen der Initiative Freie Straffälligenhilfe zum Übergangsmanagement in Berlin mit einer Reihe von Veränderungsvorschlägen unterstützt.

Das von Staatssekretärin für Justiz, Dr. Daniela Brückner, im Themenheft „Wohnen nach dem Strafvollzug“ enthaltene Grußwort und die ein Jahr spätere Pressemitteilung zur Vorstellung des Themenheftes heben zwar die Notwendigkeit zu Veränderungen bei der Versorgung mit Wohnraum der Haftentlassenen hervor, jedoch wird weder Stellung genommen zu den Vorschlägen aus dem eigenen Hause der Justizverwaltung noch zu den von der Gesamtheit der Straffälligenhilfe im Land Berlin formulierten Empfehlungen für das Übergangsmanagement.

Eine Reaktion des Senats findet sich in dem Anfang August in das Abgeordnetenhaus von Berlin vom Senat eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung von Berliner Justizvollzugsgesetzen. Die gesetzlichen Regelungen über die Vorbereitung der Eingliederung durch den Berliner Justizvollzug sollen so verändert werden, indem die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter spätestens ein Jahr vor dem voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt zusammen mit Personen und Einrichtungen die erforderlichen nachsorgenden Maßnahmen vorzubereiten sind. Diese vermeintliche Neuregelung kann jedoch die kritischen Stimmen nicht zum Verstummen bringen, denn eine nahezu inhaltsgleiche Bestimmung besteht bereits hinsichtlich der Unterkunft, Arbeit oder Ausbildung nach der Entlassung im Rahmen der bestehenden Inhalte über die Vollzugs- und Eingliederungsplanung nach dem Berliner Strafvollzugsgesetz. Was, wie von den Fachleuten kritisiert, offensichtlich nur unzureichend praktiziert wird. Warum sich das durch eine Wiederholung der gesetzlichen Vorgaben ändern sollte, bleibt ungewiss. Hinzukommt, dass die große Anzahl von Haftentlassenen, die weniger als eine einjährige Freiheitsstrafe zu verbüßen hatten, weiterhin nur eine sehr begrenzte Entlassungsvorbereitung in den Justizvollzugsanstalten erfahren hat. Eine Änderung der Vollzugspraxis ist auch hier nicht zu erwarten.

Wie für den Geltungsbereich des Berliner Strafvollzugsgesetzes, sind auch die mit dem Gesetzentwurf beabsichtigten Änderungen im Untersuchungshaftvollzugsgesetz nicht geeignet, die Lage der aus der Untersuchungshaft Entlassenen wesentlich zu verbessern. Ohnehin sollen unter anderem nur die Angebote zur Vorbereitung einer etwaigen Entlassung gemacht werden, die sich auf die Wohnraumsicherung ausrichten, was heute schon gesetzlich vorgesehen sind. Andere Maßnahmen sind weiterhin gesetzlich ausgeschlossen. Dies steht im Kontext zu der Feststellung in der entsprechenden Gesetzesbegründung, die ausdrücklich betont, ein inhaltlich strukturiertes Übergangsmanagement ist nicht umzusetzen. Auch an dieser Stelle fehlen erläuternde Ausführungen der Justizvollzugsverwaltung.